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Fahrberichte

Keine kleinen Brötchen mehr . . .

 
Neue Suzuki DR Big 800 S
 
Im Reigen der grossen Wüstenenduros wirkt die schlichte «DR 600 Paris-Dakar» neben der aufgerüsteten Konkurrenz von Honda und Yamaha schon beinahe bieder. Mit dem neuen Modell «750 DR Big» bäckt man bei Suzuki nun keine kleinen Brötchen mehr: 727 Kubikzentimeter aus einem Zylinder. 179 Kilogramm Trocken-Gewicht. 29 Liter Tankinhalt und ungewöhnliches Schnabel-Design sind das Rüstzeug der Neuen. Wir hatten Gelegenheit, mit der Paris-Dakar-Replica auf Asphalt und Schotter erste Fahreindrücke zu sammeln.

Start per Knopfdruck

Nun werden die letzten Schandmäuler verstummen: Suzukis neuer Big-Single wird kräfteschonend per Knopfdruck gestartet, einen Kickstarter sucht man vergeblich. Trotz moderner Starthilfe bleibt der Startvorgang ein Ritual: Dekompressionshebel ziehen. Choke ziehen, ja kein Gas geben und dann den kleinen Knopf an der rechten Lenkerhälfte drücken. Hält man dieses Prozedere peinlich genau ein, wird die Mühe durch gut gedämpftes, sattes Einzylinderbrabbeln belohnt. Wer nun aber glaubt, dass der über Flaschenboden grosse Kolben ab Leerlaufdrehzahl mit Brachial-Einzylindergewalt zu Werke geht, wird bitter enttäuscht: Unter 2000 U/min geht gar nichts, von 2000 bis 4500 U/min legt das DR BIG-Triebwerk dann elastisch zu, erst jenseits der 4500er Marke kommt der grösste Serien-Einzylinder der Gegenwart richtig zur Sache. Der «Bums» hält bis auf 7000 U/min an, darüber drehen bringt nichts mehr. Im unteren Drehzahlbereich scheint der alte 600er Single kräftiger und elastischer. Erst im oberen und obersten Bereich ist der PS- und Drehmomentzuwachs aus den 727 ccm Hubraum deutlich spürbar.

Ungewöhnlich kultiviert, ungewöhnlicher Nockenwellenantrieb
Die Motorvibrationen halten sich über den gesamten Drehzahlbereich angenehm in Grenzen. Eigentlich müsste ja so ein grosser Einzylinder schütteln, dass einem die Augen aus dem Kopf fallen. Zwei Ausgleichswellen, eine vor und eine hinter der Kurbelwelle rotierend, eliminieren ungebührliche Schwingungen. Die Nockenwelle im Vierventil-Zylinderkopf wird nicht, wie sonst üblich, über eine Kette von der Kurbelwelle direkt angetrieben, sondern von einem Kettenrad das auf der hinteren Balancerwelle sitzt. Durch diese ungewöhnliche Lösung konnte - laut Aussage der Suzuki-Ingenieure - die Baubreite des Motors verringert werden.

Auf Asphalt
Sitzposition, Übersichtlichkeit und Bedienbarkeit von Schaltern und Hebeln sind perfekt. Die «DR Big» fühlt sich in dem Kurvengeschlängel zwischen südfranzösischen Weinbergen sichtlich wohl: Willig und neutral folgt sie den Fahrbefehlen des Piloten. Ohne Kraftaufwand lässt sich die Maschine von Schräglage zu Schräglage scheuchen, in Kurven aller Art lässt sich ein sauberer, sicherer Strich fahren. Bis 100, 120 km/h bügeln Gabel und Zentralfederbein Strassenunebenheiten subtil und sauber aus. Erst bei Tempi über 120 km/h auf welligem Strassenbelag, tut sich die Gabel schwer, kleine Unebenheiten alle wegzustecken: Die Dämpfer-Druckstufe ist ein bisschen hart. Aber das liegt wahrscheinlich nicht an der Dämpferabstimmung an sich, sondern an der tiefen Aussentemperatur um Null Grad Celsius. Dünneres Gabelöl würde bei solchen klimatischen Bedingungen sicher Abhilfe schaffen. An der Fahrwerksabstimmung und Gesamtkonzeption gibt's sonst nichts auszusetzen: Leichtfüssiges Handling und exzellenter Geradeauslauf machen Landstrassenräuberei mit der «DR Big" zum Vergnügen.

Bremsen
Vorne presst eine Doppelkolben-Schwimmsattelbremszange die Beläge gegen die gelochte 280 mm-Bremsscheibe, hinten besorgt die Verzörgerungsarbeit eine 160 mm-Einnocken-Trommelbremse. Die vordere Einscheibenanlage verlangt bei forcierter Gangart nach beherztem Zugriff, verzögert dann aber gut, lediglich einen definierteren Druckpunkt wünscht man sich beim Abbremsen aus Tempi über 120 km/h. Hinten ist ein gefühlvoller Fuss gefragt: Die Trommelbremse neigt zum Überbremsen, liefert aber nach kurzer Eingewöhnungszeit ausgezeichnete Verzögerungswerte.

Reifen
Die Originalbereifung «IRC Trails-GP», vorne 90/90-21, hinten 130/80-17 macht trotz der Kälte auf Asphalt keine schlechte Figur: Der Geradeauslauf ist tadellos, die Haftung bei sportlicher Fahrweise ebenfalls. Der Grenzbereich zeigt sich gutmütig durch sanftes Wegrubbeln an.

Leistung
Auf der Strasse fällt das Leistungsmanko im untersten Drehzahlbereich nicht ins Gewicht: Man bewegt die Maschine automatisch zwischen 4000 und 7000 U/min. Die von Suzuki propagierte Höchstgeschwindigkeit von ca. 170 km/h konnten wir allerdings nie erreichen, dafür ist die Übersetzung ein wenig zu lang ausgefallen: Der Motor dreht im fünften Gang nur bis 6000 U/min. Über 150 km/h ist unsere «DR Big» nicht gerannt (solo, mit aufrecht sitzendem, 73 Kilo schwerem Fahrer). Allerdings hatte die Testmaschine erst 450 Kilometer auf dem Kilometerzähler, war also noch nicht richtig eingefahren und frei (alle Testergebnisse gelten für die offene Auslandversion, was in der Schweiz punkto Fahrleistungen übrig bleibt, steht noch in den Sternen).

Off Road
Die Testkonditionen an diesem zweiten Testtag im südfranzösischen Perpignan sind nicht optimal: Die Alkoholsäule des Thermometers klebt hartnäckig bei 4 Grad Celsius unten, es windet und dünner Nieselregen beginnt die Endurotrainingspiste aufzuweichen. Die Maschinen werden auf Cross-Reifen umgerüstet und die knapp über dem Vorderrad montierten Frontkotflügel müssen nach einer ersten Proberunde demontiert werden: Lehm und Steine pappen den schmalen Zwischenraum zwischen Rad und Kotflügel innert kürzester Zeit so zu, dass an ein Weiterfahren nicht zu denken ist; das Polyesterteil mit dem versteifenden Metallbügel zwischen den Gabelholmen muss weg. Dadurch leidet zwar die Verwindungs-Steifigkeit der Gabel, aber immerhin, so können wir wenigstens fahren. Die Piste bietet alles was man für den Test einer grossen Enduro braucht: Lange Wellen, kurze Wellen, Längsrinnen, Sprunghügel, enge Kurven, weite Kurven und schnelle Schotterpassagen, die Tempi bis 140 km/h erlauben. Der Pistenbelag ist eine Mischung aus Lehm, Humus und mittelgrossem Kies und Steinen. Dank dem Kies wird es nicht zu rutschig. Nur in den engen, lehmigen Kurven erwarten wir viel Mühe mit dem fast 180 Kilogramm schweren Motorrad.
Doch unsere Bedenken zerstreuen sich postwendend nach zwei Runden. Die Gewichtsverteilung der «DR Big» ist so gelungen, dass man sogar unter diesen ungünstigen Bedingungen noch ungewohnt forsch zu Werke gehen kann. Die Maschine lässt sich überraschend leicht kontrollieren. Nur das Drehmomentmanko im untersten Drehzahlbereich macht sich unangenehm bemerkbar: Auf der rutschigen Piste wäre es angenehmer, wenn man niedertouriger, im nächsthöheren Gang die glitschigen Kehren umrunden könnte. Der Geradeauslauf der Suzie ist trotz demontiertem, versteifendem Vorderradkotflügel ausgezeichnet; richtig prädestiniert für schnelle, weite Wüstenpassagen! Federbein und Gabel absorbieren Löcher und Wellen weich und wirksam. Erst beim Überfahren grösserer Unebenheiten mit Tempi über 120 km/h, zeigt sich die Telegabel mit den 41er Standrohren überfordert: Die Federprogression ist zu lasch ausgefallen, die Gabel schlägt zwei oder dreimal bis zum Anschlag durch.
Das Getriebe an unserer Testmaschine gibt sich plötzlich nach drei Runden störrisch: Der erste und zweite Gang lassen sich nur noch mit Mühe einlegen. Allerdings scheint unsere Maschine die einzige mit solchen Problemen zu sein, die anderen Testpiloten haben keine derarigen Schwierigkeiten zu beklagen. Nach einer Stunde beginnt die Piste ein wenig abzutrocknen und man kann sich vorstellen wie es bei trockenem Untergrund wäre: Super!
Gesamtauslegung, Gewichtsverteilung, Tankinhalt und Optik sind für die Bedürfnisse von Hobby-Wüstenfüchsen und Landstrassen-Kurvenräubern ausgelegt: Die «DR Big» bietet viel Fahrspass auf Asphalt und Schotter. Viele Leute werden sich aber an den begrenzten Gepäcktransport-Möglichkeiten stören - nicht jeder hat ein Assistenz-Fahrzeug dabei und Wüstenpisten sucht man bei uns vergeblich. Dafür bekommt der potentielle «DR Big»-Käufer ein ungewöhnlich gestyltes Motorrad mit dem grössten Serien-Einzyllinder der Gegenwart. Das Prestige, dass der belgische Rallye-Haudegen Gaston Rahier mit einer sehr verwandten «DR» das Rallye Paris-Dakar bestreiten wird und vielleicht sogar gewinnt, gibt's umsonst dazu - wie gesagt: Bei Suzuki bäckt man auch bei den Wüstenschiffen keine kleinen Brötchen mehr!

MSS 48/1987 • Dieter Nugel

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